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Gacaca – die Friedensgerichte von Ruanda

In Ruanda wurde lange Zeit eine außergewöhnliche Form von Gerichtsprozessen praktiziert: die Gacaca-Gerichte. Oberste Priorität dieser Verfahren war der Frieden in der Gemeinschaft; so wurden Verbrecher häufig nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern zu Hilfsarbeiten verpflichtet, um sie auf diese Weise zu resozialisieren und mit der Dorfgemeinschaft zu versöhnen.

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Liebe geht durch den Magen – Versöhnung auch?

Die traditionelle Gerichtsbarkeit der Dorfgemeinschaften ermöglichte, unter der Leitung der Dorfältesten unkompliziert und zeitnah Verstöße gegen die Regeln des lokalen Zusammenlebens zu ahnden und Auseinandersetzungen zwischen Familien zu schlichten. Meist musste der Delinquent zur Wiedergutmachung gemeinnützige Arbeit leisten oder dem Geschädigten gewisse Mengen an Sorghombier oder Bananenwein zukommen lassen. Traditionell endeten die Verfahren oft mit einem Versöhnungsessen. Schon daran zeigt sich, dass die Wahrung des dörflichen Friedens das Primärziel der Gacaca-Gerichte war – der Strafaspekt trat demgegenüber in den Hintergrund. Diese Praxis bestand bis ins frühe 20. Jahrhundert, doch 1924 beschnitten die belgischen Kolonialbeamten die Zuständigkeiten dieser Gerichte. Auch nach der Unabhängigkeit 1962 beschränkte sich die Autorität der Gacacas auf kleine, kommunale Streitigkeiten, doch immerhin waren sie Bestandteil des offiziellen Rechtssystems.

Friede in der Dorfgemeinde ist oberste Priorität

Gacaca-Gerichte helfen bei der Aufklärung des Völkermordes

Aufgrund der durch den Völkermord im Jahr 1994 zerstörten Institutionen und der immensen sozialen und politischen Probleme rief die Regierung 1995 bei der Bewältigung der bevorstehenden juristischen Arbeit um Hilfe. Der von den Vereinten Nationen installierte Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) mit Sitz im tansanischen Arusha sollte und konnte sich wegen seiner geringen Kapazität nur um die Verfahren gegen die vermeintlich wichtigen, politisch verantwortlichen Drahtzieher kümmern. Das Rechtssystem in Ruanda drohte nach dem Genozid zu kollabieren – lediglich 20 der zuvor 785 Richter waren noch am Leben – und fokussierte seine Strafverfolgungsbemühungen auf diejenigen Planer des Genozids, die sich nicht vor dem ICTR rechtfertigen mussten. 1999 beschloss die Regierung notgedrungen, die Gacaca-Gerichte einzusetzen und sie auf die Masse derer auszuweiten, die beschuldigt wurden, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein.

Traditionelle Werte und Rechtsstaatlichkeit

Mitte des Jahres 2002 nahmen in zwölf Distrikten die ersten Gerichte ihre Arbeit auf. Im Gegensatz zu den traditionellen Gacacas waren diese nun rechtlich eingebettet, folgten formalen Abläufen und räumten den Angeklagten mehr Rechte ein. Die Beteiligung der gesamten Gemeinde sowie das Ziel der Versöhnung wurden jedoch als wichtige Elemente beibehalten. Die Schwere der Delikte während des Genozids wurde in eine von vier Kategorien eingeteilt. Die Gacacas waren für Fälle der Kategorien 2 bis 4 zuständig, während Verdächtige der Kategorie 1 vor ein ordentliches ruandisches Gericht bzw. das ICTR gestellt wurden.

Das Volk wählt die „Richter“

Jedem Gacaca-Gericht gehörten neun Inyangamugayo sowie fünf Gesandte an. Die Inyangamugayo wurden von der Generalversammlung des Dorfes gewählt. Aktiv wahlberechtigt waren alle Bewohner über 17 Jahren, zur Wahl stellen durfte sich Die Kandidaten mussten über 21 Jahre alt sein, über eien guten Leumund verfügen und nicht mit über sechs Monaten Gefängnis vorbestraft sein; selbstverständlich durften sie auch nicht in den Völkermord verwickelt gewesen sein. Die Strafen fielen dabei höchst unterschiedlich aus: von gemeinnütziger Arbeit bis hin zu jahrzehntelangen Haftstrafen! Ein übergeordnetes Appellationsgericht kümmerte sich um Einsprüche gegen verkündete Urteile. Bis Mitte 2012 waren die Gacaca-Gerichte so an der juristischen Aufarbeitung des Genozids beteiligt.

Wichtig: Mitbestimmung durch das Volk

© Fotos: earthwanderer

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